Archiv der Kategorie: Vorträge

Warum ist Al Shabaab so erfolgreich? Zur Genealogie des politischen Islam in Somalia

Markus V. Höhne

Abstract des Online-Vortrags am 20. Mai 2021, 18:00 Uhr

Al Shabaab in Somalia wird normalerweise als „Terrororganisation“ dargestellt. In dieser Präsentation schlage ich vor, die umfassendere Genealogie der Gruppe zu betrachten und sie als wichtigen politischen Akteur zu verstehen, der im lokalen Umfeld ein wettbewerbsfähiges politisches Angebot macht. Al Shabaab entwickelte sich aus einem größeren Spektrum politisch-islamischer Akteure in Somalia, wobei Al Ittihat Al Islami (AIAI) und die Bewegung des Islamischen Gerichtshöfe in den 1990er und frühen 2000er Jahren wichtige Vorläufer waren. Im Gegensatz zu den früheren islamistischen Organisationen gelang es Al Shabaab jedoch, nicht nur eine mächtige Streitmacht, sondern auch einen staatsähnlichen bürokratischen Apparat aufzubauen. In Gebieten, in denen die Gruppe die Kontrolle hat, setzt sie die Sharīʿa als transparente Rechtsordnung durch und bemüht sich, Ordnung jenseits des Klanismus zu schaffen. Da die islamistische politische Ordnung effektiver und weniger korrupt ist als die von der nationalen (aber von externer Unterstützung abhängigen) Regierung in Somalia etablierte Ordnung, spricht sie sogar diejenigen an, welche die radikale Ideologie von Al Shabaab nicht teilen. Dies macht die Islamisten zu einer Kraft, mit der man auch in Zukunft rechnen muss.

Die Vorträge werden über Zoom-Meetings abgehalten. Bitte melden Sie sich per Email als Zuhörer*in an.

Sozio-politische Praktiken in Nordostafrika jenseits des Staates: zwischen organisiertem Frieden und organisierter Gewalt

Wolbert G.C. Smidt

Abstract des Online-Vortrags am 15. April 2021, 18:00 Uhr, Zoom

Die nordostafrikanische Region ist seit Jahrhunderten von einer großen Dynamik von Staatsbildungsprozessen, Expansionen und Kooperation zwischen Regionen geprägt. Neben den Staaten, auf denen meist der Hauptaugenmerk der Geschichtsschreibung lag, gab es immer meist in hochgradiger Autonomie organisierte lokale Gemeinwesen. Diese organisieren sich selbst primär als „Friedensräume“, das heißt haben soziopolitische und kulturelle Systeme und Rechtstraditionen oft in großer Differenziertheit herausgebildet, die eine innere Stabilität fern des Staates gewährleisten. In einigen Fällen bildeten sich im äthiopischen Hochland regelrechte Bauernrepubliken heraus, aber auch Systeme feudaler Lehnsherrschaften sowie alte Ansätze bürgerlicher Gewaltenteilung. Diese Gesellschaften sind teilweise ethnisch konnotiert, aber nicht ausschließlich, was eine der Grundlagen für die offizielle Anerkennung der Rolle von Ethnien in der Herausbildung von politischen Regionen im modernen Föderalstaat Äthiopien war. Diese sind allerdings nicht wie „Inseln“ auf sich bezogen, sondern Teil eines Geflechts von Beziehungen, die vielfach noch wenig erforscht sind. Auch diese sind oft hochausdifferenziert und werden sowohl konfliktuell als auch in kooperativer Weise ausgestaltet. Dazu gehören auch Konfliktsysteme, die auf Wiederholung von Gewaltunternehmungen – wie Razzien – und ihrer ritualisierten Deutung sowie Einbettung in lokale Wertesysteme beruhen. Andere Formen von Gewalt, die sich gegen übergeordnete staatliche Hierarchien richten, sind ebenfalls in lokale Erwartungen eingebettet, mit der Folge, dass Gesellschaften als Antwort auf bestimmte Entwicklungen auf Frieden oder auch auf Kriegsmodus eingestellt sein können, sowohl im Fall von als gewalttätig oder regelwidrig agierenden territorialen Nachbarn als auch von gewaltsamen Superstrukturen von Staaten, die „Ordnung“ schaffen und damit einen Sturm gesellschaftlich getragener Gewalt erzeugen. Trotz einer insgesamt ausgeprägten Stabilität lokaler soziopolitischer Entitäten, die eine starke Akzeptanz genießen, sind diese vor allem nach außen hin nicht gewaltfrei. Sowohl in Diskurs und Praxis stehen diskursive, konsensuale Prozeduren im Zentrum der Selbstorganisation, deren Beziehung zu modernen Staaten noch ungeklärt sind.

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Online-Vortragsreihe „Neue Perspektiven auf das Horn von Afrika – lokale sozial-politische Dynamiken“

Das Horn von Afrika ist gemeinhin und seit langem als Krisenregion bekannt. Hungersnöte, Bürgerkriege, Kriege, islamistischer Terrorismus, Menschenrechtsverletzungen und Staatszerfall sind Begriffe, die oft mit der Region in Verbindung gebracht werden. Daraus resultiert die Flucht vieler Menschen aus Äthiopien, Eritrea, Somalia oder dem Südsudan, von denen viele seit Jahrzehnten auch in Europa und Nordamerika ankommen. Der Wissenschaftliche Arbeitskreis Horn von Afrika (WAKHVA) vereinigt Wissenschaftlerinnen, die teilweise seit Jahrzehnten zu einzelnen Ländern in der Region arbeiten. Einige Mitglieder des Vereins werden in dieser Vortragsreihe einen historisch fundierten und sozial, kulturell, politisch und ökonomisch differenzierten Blick auf aktuelle Probleme in der Region werfen. Ziel ist es, vom Klischee der Krisenregion wegzukommen und ein tieferes Verständnis für das Leben am Horn von Afrika zu entwickeln, das in vielerlei Hinsicht mit „unserem“ Leben (in Europa, auch konkret in Deutschland) verbunden ist.

Programm

15. April 2021, 18:Uhr
Wolbert G.C. Smidt
Sozio-politische Praktiken in Nordostafrika jenseits des Staates: zwischen organisiertem Frieden und organisierter Gewalt
Abstract

20. Mai 2021, 18:Uhr
Markus V. Höhne
Warum ist Al Shabaab so erfolgreich? Zur Genealogie des politischen Islam in Somalia
Abstract

17. Juni 2021, 18:Uhr
Katrin Seidel
„Starting with confusion will end up in confusion“ – Reflektionen zur internationalen Rechtsstaatlichkeits-förderung im Südsudan
Abstract

Die Vorträge werden über Zoom-Meetings abgehalten. Die Anmeldung erfolgt per Email.

Drohnenkrieg in Afrika: Die deutsche Rolle in der Terrorismusbekämpfung und die Auswirkungen dieses Krieges auf Somalia

(Podiumsdiskussion mit Christian Fuchs, Markus Höhne und Ulf Engel am 5 Mai 2014, um 19.00 Uhr im Afrika-Haus, Bochumer Straße 25, 10555 Berlin, Tel:  030 3922010)

 

In Afrika findet ein Krieg fast unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Islamistische Milizen kämpfen für ihre Interpretation des Islam und gegen das, was sie als „Diktatur des Westens“ empfinden – und US-Truppen und ihre Verbündeten kämpfen dagegen im „Krieg gegen den Terrorismus“.  Dieser Konflikt ist die zentrale militärische Auseinandersetzung am Beginn des 21. Jahrhunderts. Der Konflikt dauert nun schon über ein Jahrzehnt und hat bisher tausende Menschenleben gekostet.

Dieser Krieg wird auch von Deutschland aus geführt: Vom Afrika-Kommando der amerikanischen Streitkräfte in Stuttgart und über die Airbase in Ramstein werden Drohnen in Somalia befehligt und gesteuert. Das haben die Journalisten Christian Fuchs und John Goetz jüngst in ihrem politischen Bestseller „Geheimer Krieg“ aufgedeckt. Darin werden Einsätze in Somalia beschrieben und analysiert.

In Somalia, hat der Krieg gegen den Terrorismus, der vom Westen im Wesentlichen per „Fernsteuerung“ (Raketen und Drohnen) und Sonderkommandos geführt wird, aber auch von afrikanischen Interventionstruppen, die von den USA und der Europäischen Union massiv mitfinanziert werden, ungeahnte Auswirkungen. Der Ethnologe Dr. Markus Höhne, der sich seit vielen Jahren mit dem Land am Horn von Afrika beschäftigt, zeigt auf, wie der Krieg gegen den Terrorismus in Somalia die Gewalt und auch den Terror massiv verschlimmert hat. In seiner Sicht konnte die Terrororganisation Al Schabaab überhaupt erst im Zuge der Terrorbekämpfung, die ohne Rücksicht auf Völkerrecht und Menschenrechte in Somalia stattfindet, zu einer militärisch schlagkräftigen und teilweise politische legitimen Bewegung werden.

Der Afrikaexperte und Berater der Afrikanischen Union, Prof. Dr. Ulf Engel, diskutiert die Sicherheits­interessen afrikanischer Staaten, insbesondere Äthiopiens und Kenias, im Hinblick auf die Lage in Somalia sowie die Position der Afrikanischen Union.

Die Veranstaltung stellt die Frage, inwiefern Deutschland an der Eskalation eines Krieges in Somalia mitbeteiligt ist und welche Schlüsse sich aus der Reflexion über diese Zusammenhänge im Hinblick auf die aktuell diskutierte Ausweitung deutscher Militäreinsätze im Ausland und militärische Interventionen als Mittel der „Friedenspolitik“ insgesamt ziehen lassen. Die Veranstaltung wird als Podiumsdiskussion abgehalten. Die Referenten halten zunächst kurze Impulsreferate. Im Anschluss findet ein moderiertes Gespräch unter ihnen statt, bevor die Debatte für das Publikum geöffnet wird.